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Volksentscheide scheinen eine komische Sache zu sein in dieser Stadt, besonders für die CDU. Die Entscheidung für „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ ist erst vor wenigen Jahren gefallen und der CDU-geführte Senat hat ausdrücklich klargemacht, dass er sie ignorieren will. Der von CDU und FDP initiierte Volksentscheid über das Tempelhofer Feld im Jahr 2014 hat mit überwältigender Mehrheit ergeben, dass die Berliner_innen ihre dortige Freifläche behalten wollen. Obwohl sich an der Abstimmung über den Volksentscheid „Berlin 2030 Klimaneutral“ nicht genug Menschen beteiligten, um seinen Inhalt zum Gesetz zu machen, hat ihm eine Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt. Im Gegenzug erhalten diese einen Ausbau der Autobahnen und die Aussetzung dringend benötigter Projekte für Radinfrastruktur. Kai Wegner und die Berliner CDU lieben die Demokratie und werden das Ergebnis eines jeden Berliner Volksentscheids respektieren – solange die Berliner so höflich sind, für das zu stimmen, was Kai Wegner und die Berliner CDU wollen.
Ich sollte wohl vorab ein Eigeninteresse anmelden. Ich gehe jeden Tag frühmorgens auf dem Tempelhofer Feld spazieren und lebe meine „Midlife-Crisis“ aus, indem ich mich unter Zuhilfenahme einiger Erdnüsse mit den dort lebenden Krähen anfreunde (sie sind hochintelligente Tiere und werden unglaublich missverstanden). Da die aktuellen Vorschläge allerdings keine Auswirkungen auf meine morgendlichen Spaziergänge hätten und Krähen bekanntlich robust genug sind, um sich an den menschlichen Lebensraum anzupassen (und dort sogar zu gedeihen), muss meine Motivation für diesen Beitrag doch anderswo entstehen. Trotzdem ist Transparenz wichtig, also erkläre ich hier meinen persönlichen Bezug.
Ich bin auch sicher kein NIMBY (für diejenigen, die mit dem Akronym „not in my back yard“ nicht vertraut sind: Mit diesem Begriff werden Menschen bezeichnet, die sich kategorisch gegen jede Veränderung wehren, sobald sie auch Auswirkungen auf sie und ihr Umfeld hat). Wir leben in einer Wohnungskrise und die Leiden, die das für Mieter_innen und Wohnungssuchende in Berlin bedeutet, müssen endlich angegangen werden.
Angenommen, wir hätten in Berlin nicht schon eine beachtliche Menge an Brachflächen, auf denen wir bauen könnten (die haben wir), gäbe es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: auf Parks und Freiflächen bauen, oder in die Höhe bauen. In dieser Entscheidung könnte ich mich nicht klarer festlegen, auch wenn ich dadurch vielleicht die Stimmen meiner Nachbarn verliere: Baut ein Hochhaus vor meinem Balkon, und zwar ein hohes. Ich liebe den Blick auf den Sonnenuntergang in einer Sommernacht. Aber offen gesagt haben diejenigen, die sich in eine Schlange von 200 Personen einreihen, in der Hoffnung, dass sie für eine kleine Wohnung ausgewählt werden, die mehr als die Hälfte ihres Monatseinkommens verschlingen würde, ein deutlich drängenderes Problem, als ich mit dem Verlust meiner Aussicht.
Und baut nicht nur einen Wolkenkratzer vor meinem Haus. Baut eines vor das Haus jeder Person aus der Berliner Politik, die je gesagt hat, dass das Tempelhofer Feld bebaut werden müsse, weil wir alle während einer Wohnungskrise Opfer bringen müssten. Der Begriff „wir“ wird dieser Tage für die Verallgemeinerung aller möglichen politischen Wunschvorstellungen gebraucht, also ist es nur fair, dass auch Kai Wegner und Franziska Giffey ausufernde neue Wohnsiedlungen neben ihren Häusern erleben dürfen. Schließlich müssen wir, wie so oft beschworen wird, alle Opfer bringen. Ich bin mir sicher, dass auch sie gerne ihren Beitrag leisten werden.
Denn darauf läuft es beim Tempelhofer Feld wirklich hinaus: Diejenigen, die es bebauen wollen, nutzen es nicht und können ihren Unmut über diejenigen, die es nutzen, kaum verbergen. Von allen Flächen in Berlin, die bebaut oder nachverdichtet werden könnten (und davon gibt es viele), zieht es sie aus irgendeinem Grund immer wieder auf das Feld zurück. Ich habe den Verdacht, dass ich weiß, warum. Man muss sich ansehen, wer das Feld nutzt. Skater. Windsurfer. Aktivisten. Musiker. Junge Leute, die sich keine Kneipenrechnung leisten können, aber ihr Geld für eine Kiste Bier ausgeben können, die sie auf das Feld schleppen, um eine gute Zeit mit ihren Freunden zu verbringen. Student_innen und junge Berufstätige, die keinen Garten oder Balkon als Rückzugsort haben und sich deshalb einen Ort in der Weite des Feldes suchen. Und ja, politische Kandidat_innen, die eine Midlife-Crisis mit Krähen erleben.
Das Feld steht für alles, was die CDU an Berlin verachtet – eine riesige Fläche mit Menschen, die sie nie wählen würden oder nicht einmal wählen dürfen. Die, würde das Feld mit sterilen Wohngebäuden zubetoniert werden, aus ihren Augen verschwinden würden. Damit sie ihr Bestreben fortsetzen können, Berlin zu einer langweiligen, gentrifizierten Allerweltsstadt zu machen. Die Bebauung des Tempelhofer Feldes ist der ultimative NIMBYismus. Man löst die Probleme der Menschen, die knapp bei Kasse sind, nicht, indem man ihnen ihre Freiflächen wegnimmt.
Es gibt selbstverständlich eine ganze Reihe von auf den ersten Blick stichhaltigen Argumenten für eine Bebauung, die an dieser Stelle entkräftet werden müssen. Das Erste ist, dass diejenigen, die gegen die Bebauung des Feldes sind, den Ärmsten in Berlin schaden würden. Das setzt einen Glauben daran, dass der Bauhunger der FDP und anderer politischer Kräfte auf dem Tempelhofer Feld allein oder auch nur vorrangig dem Bau von Sozialwohnungen gilt. Um es mit Joschka Fischer zu sagen: „I am not convinced“.
Das Zweite ist das effektivste. Nämlich, dass es nur um begrenzte Bebauung am Rande des Feldes gehen würde. Nun, als ehemaliger Bezirksrat in Großbritannien möchte ich das in Zweifel ziehen. Der Widerstand gegen jeden „ersten Spatenstich“ auf dem THF ist gut begründet: Sobald man etwas einmal getan hat, ist es politisch viel einfacher, es wieder und wieder und wieder zu tun. Die härteste politische Hürde ist immer das erste Siegel, und wenn es erst einmal gebrochen ist, ist alles andere nur noch „ein wenig mehr“, bis scheibchenweise die ganze Sache durchgebracht wurde.
Wenn das zuerst zu zynisch erscheinen mag, hilft der Blick hierauf: Das Feld muss vorgeblich unbedingt bebaut werden, um das Wohnungsangebot deutlich zu erhöhen. Wenn aber nur einige wenige Wohnungen am südlichen Rand gebaut werden sollen, hätte das selbstredend kaum eine Auswirkung. Eine Bebauung nur am Rand wäre auch viel weniger effizient, als andere verfügbare Flächen vollständig zu nutzen. Es sei denn, es wäre in Wahrheit ohnehin schon eine weitere Entwicklung an gleicher Stelle geplant.
Das dritte Argument wäre nach einer kurzen Google-Suche schon widerlegt, taucht aber immer wieder auf: „Keine andere Stadt auf der Welt leistet sich so etwas“. Dazu gibt es zwei Dinge zu sagen. Erstens hat San Francisco den Golden Gate Park, New York den Central Park und London die königlichen Parks – alles riesige Freiflächen in Städten, deren Wohnungskrise schon viel weiter fortgeschritten ist als die von Berlin. Und warum? Weil in diesen Städten allein der Markt regelt, wenn es um die Miete geht. Keine Mietpreisbremse (geschweige denn ein Mietendeckel), kein Schutz vor Zwangsräumungen und kein starkes Mietrecht – alles Dinge, die in letzter Zeit von denselben Leuten diskutiert werden, die behaupten, die Wohnungskrise durch Bebauung des Feldes lösen zu wollen. Und zweitens: Wenn andere Städte etwas nicht haben, ist vielleicht gerade das in einer Welt, die immer gleichförmiger wird, ein triftiger Grund, es beizubehalten.
Und schließlich die große, ganz allgemeine These: Dass man nur den freien Markt Wohnungen bauen lassen müsste, um die Wohnungskrise zu lösen. Die Wahrheit ist, dass es nicht nur politisch, sondern auch physisch unmöglich ist, die steigende Nachfrage nach Wohnraum in Berlin zu befriedigen, indem man einfach mehr Wohnungen baut. Die aktuellen Mieten sind einfach zu hoch. Nach den Regeln von Angebot und Nachfrage können sie nur sinken, wenn sich das Verhältnis von Angebot von und Nachfrage nach Wohnraum entspannt. Die gleichen Argumente habe ich in London gesehen – bauen, bauen, bauen. Und sie haben gebaut. Doch diese Hochhäuser stehen leer und gehören ausländischen Investoren, während heruntergekommene, ehemals staatliche Wohnungen in Brixton jetzt von vier Facharbeitern bewohnt werden, nur damit sie sich die Miete leisten können. Während dieser Beitrag entstanden ist, habe ich nachgesehen, was die winzigen 30 m²-Wohnungen in meinem ehemaligen Wohnhaus in London jetzt kosten. Es sind umgerechnet 2.917 € pro Monat. Der Bau von mehr Wohnungen hat nichts gebracht, denn es wurden zu wenige und insbesondere keine bezahlbaren Wohnungen gebaut.
Es ist bizarr, dass Wohnen die einzige unabdingbare Ressource in unseren Leben ist, für die wir Unmengen von Geld bezahlen sollen. Niemand würde das für Medikamente oder Energie akzeptieren. Es würde als Relikt einer unzivilisierten Gesellschaft gelten, dass man sich die Behandlung seiner Krankheiten oder die Beheizung seiner Wohnung nicht leisten kann. Für die Wohnung selbst scheint das jedoch akzeptabel zu sein.
Für bezahlbaren Wohnraum in den Städten gibt es zwei Möglichkeiten: Eine Mietpreisbremse oder genügend Sozialwohnungen, die eine Mietpreisbremse überflüssig machen. Berlin sollte gerade jetzt eine ehrgeizige Initiative zum Bau von Sozialwohnungen starten. Sie könnten dem Beispiel Wiens folgen, wo 60 % des Wohnungsbestands in staatlichem Besitz sind. Die Miete richtet sich nicht nach der Wohnung selbst, sondern nach einem Anteil des Einkommens der Bewohner/innen (20–25 %), um einen hohen Lebensstandard zu gewährleisten. Der Senat könnte das tun, denn es würde den Menschen in Berlin unheimlich viel bringen. Aber er tut es nicht. Warum? Nun, es würde sicherlich Murren namhafter CDU-Spender aus der Baubranche hervorrufen. Aber ich glaube, der wahre Grund ist viel banaler als das: Das Tempelhofer Feld, dieser historische Fleck Berlins, der in den Jahren der Teilung als Leuchtturm der Hoffnung diente und heute von der ganzen Vielfalt dieser wunderbaren Stadt genutzt wird, würde bleiben. Deshalb wünschen sie es loszuwerden, und deshalb müssen wir alles dafür tun, damit das „THF bleibt“.